Wenn Energieschulden höher sind als das Monatseinkommen
Ratsuchende im Schnitt mit mehr als 700 Euro im Zahlungsrückstand
Klare Mahn- und Sperrverfahren helfen, Energiearmut zu vermeiden
Offene Forderungen im hohen drei- oder gar vierstelligen Bereich sind bei säumigen Strom- und Gaskunden keine Seltenheit. Das zeigt eine aktuelle Auswertung von 5.400 Beratungsfällen des Projekts „NRW bekämpft Energiearmut“ der Verbraucherzentrale NRW. Im Mittel lagen die Zahlungsrückstände bei den beratenen Grundversorgungskunden inklusive Mahn- und Sperrkosten bei 713 Euro. Betrachtet man nur den Strombereich, waren es 644 Euro.
„Hohe, teils vierstellige Forderungen, die viele Haushalte nicht mehr begleichen können, entstehen meist nicht auf einen Schlag“, erklärt Projektleiterin Stephanie Kosbab. Zwar seien hohe Nachzahlungen die größte Einzelursache für große Rückstände. Doch in ungefähr einem Drittel der Beratungsfälle seien auch unbezahlte Monatsabschläge ein Teil des Problems. „Unsere Erfahrung zeigt: Am besten ist es, wenn Versorger ein transparentes und klar getaktetes Mahn- und Sperrverfahren konsequent vorantreiben, sobald die erste Abschlagszahlung ausbleibt. Meldet sich aber der Kunde, braucht es Spielraum für Kulanz, um tragfähige Lösungen zu ermöglichen“, sagt Kosbab. Diese Kombination aus Stringenz und Dialog schaffe die besten Perspektiven dafür, dass sich Energieschulden nicht verfestigten.
Schleppende Sperrverfahren verschärfen das Problem
Laufe das Mahn- und Sperrverfahren aber nur schleppend an, mit folgenlosen Fristen, sammelten sich leicht hohe Summen an. „Es ist keine Seltenheit, dass offene Forderungen am Ende das verfügbare Monatseinkommen eines Haushalts übersteigen“, berichtet Kosbab. Diese Schulden abzubauen sei allenfalls unter sehr großen Anstrengungen möglich. Teils sei dies sogar mit Ratenvereinbarungen aussichtslos. „Die Realität ist oft viel härter, als der im Monitoringbericht der Bundesnetzagentur veröffentlichte durchschnittliche Zahlungsrückstand von 131 Euro erahnen lässt“, betont Kosbab. Dieser Wert bilde den Stand der offenen Forderungen bei der ersten Sperrandrohung ab. Er lasse aber keinen Rückschluss darauf zu, wie hoch die Energieschulden im Endeffekt würden. So verstelle er eher den Blick auf das tatsächliche Ausmaß vieler Fälle.
Hohe Verbräuche, ausbleibender Unterhalt, Krankheiten
Die Gründe für Energiearmut sind der Expertin zufolge vielfältig. Eine Rolle spielten etwa hohe Verbräuche in schlecht ausgestatteten Wohnungen, Krankheiten oder ausbleibende Unterhaltszahlungen. Oft führten auch das schmale Budget oder Umstände wie Arbeitslosigkeit dazu, dass der Großteil des Lebens in den eigenen vier Wänden stattfindet. Das treibe den Verbrauch ebenfalls in die Höhe. „Bei der Energiearmut gibt es nicht den einen, typischen Fall, der als Schablone für alle anderen dienen kann“, betont Kosbab. „Deshalb sind frühe, individuelle Klärungen der Ursachen des Zahlungsproblems das A und O, um Sperren und Überschuldungen zu vermeiden.“
Die besten Chancen auf einen glimpflichen Ausgang habe, wer sich dem Problem sofort stelle, den Versorger kontaktiere und sich beraten lasse, zum Beispiel bei der Verbraucherzentrale. Ein Kurzbericht zur Auswertung von 5.400 Beratungsfällen ist online unter www.verbraucherzentrale.nrw/gegen-energiearmut.
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Zum Projekt:
Das Projekt „NRW bekämpft Energiearmut“ berät Menschen mit Zahlungsprobleme bei der Energierechnung und drohenden oder vollzogenen Energiesperren. Finanziert wird es durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen und die örtlichen Energieversorgungsunternehmen in Aachen, Alsdorf, Bochum, Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen/Bottrop, Hamm, Köln, Krefeld, Witten und Wuppertal.