Keine Entwarnung bei privater Verschuldung
- Überschuldungsrisiko durch Corona wächst weiter
- Gründe für sinkende Zahlen bei Verbrauchinsolvenz vielfältig
Viele Menschen in Nordrhein-Westfalen haben wegen der anhaltenden Covid-19-Krise weniger Geld in der Tasche. So unberechenbar wie die nächsten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, sind oftmals auch die eigenen finanziellen Planungen für die kommenden Monate. Dennoch nimmt die Zahl der eingeleiteten Verbraucherinsolvenzverfahren laut neuesten Erhebungen ab. Wie passt das zusammen? Christoph Zerhusen, Verbraucherinsolvenzrechtsexperte der Verbraucherzentrale NRW, ordnet die aktuellen Zahlen aus dem heute veröffentlichen SchuldnerAtlas Deutschland 2020 ein.
Bedeutet der Rückgang der Privatinsolvenzen, dass weniger Menschen von Überschuldungsrisiken bedroht sind?
Nein, Überschuldung kann jeden treffen. In aller Regel ist hierfür der Eintritt eines schicksalshaften Ereignisses, etwa der Tod des Partners oder der Partnerin, verantwortlich. In diesem Jahr kommt Corona als zusätzliches Risiko hinzu. Dass dennoch die Zahl der Verbraucherinsolvenzen zurückgegangen ist, erklärt sich zum einen durch den ersten, vollständigen „Lockdown“ im Frühjahr sowie anstehende Änderungen des Insolvenzrechtes, die Erleichterungen für Privatleute mit sich bringen wird.
Inwiefern hat sich der „Lockdown“ konkret auf die Anzahl der Privatinsolvenzen ausgewirkt?
Während des umfassenden „Lockdowns“ im Frühjahr konnten persönliche Beratungen durch Schuldnerberater wie den Wohlfahrtsverbänden oder der Verbraucherzentrale NRW nicht stattfinden. Die Beratungsmöglichkeiten beschränkten sich auf Fernkommunikation, häufig per Internet und Telefon. Auch viele Gerichte und Behörden sahen sich mit den geänderten Verhältnissen konfrontiert und standen nur eingeschränkt der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Welche Änderungen stehen im privaten Insolvenzrecht an?
Die EU-weite Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz befindet sich in Deutschland aktuell im Gesetzgebungsverfahren. Das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens soll sehr zeitnah in Kraft treten. Im Kernpunkt sieht es eine Verkürzung der Entschuldungsfrist von gegenwärtig regelmäßig sechs auf zukünftig drei Jahre vor. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung haben viele überschuldete Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Anträge zurück gehalten.
Womit ist im kommenden Jahr zu rechnen?
Wir gehen aktuell davon aus, dass die finanziell bedrohlichen Effekte der anhaltenden Covid-19-Krise zeitverzögert im nächsten Jahr eintreten werden. Schon jetzt verzeichnen wir eine steigende Nachfrage von Menschen, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Wir rechnen daher damit, dass nicht nur die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im kommenden Jahr sprunghaft ansteigen wird, sondern auch mit einem allgemeinen Anstieg der Überschuldungszahlen.
Was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, wenn ihnen die Schulden über den Kopf wachsen?
Von Überschuldung betroffene Menschen sollten sich möglichst frühzeitig in einer amtlich anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle Hilfe holen, etwa bei Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände oder der Verbraucherzentrale NRW.