Totale Überwachung oder sinnvolles Hilfsmittel? Details zur geplanten Corona-Tracing-App
Die Regierenden haben diese Woche umfassende Lockerungen der Corona-Maßnahmen entschieden, unter anderem dürfen Geschäfte, Spielplätze oder Ausstellungen unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen wieder öffnen. Virologen sind sich einig, dass diese Öffnungen unweigerlich Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen haben werden. Umso dringender scheint die Einführung einer schon länger diskutierten App zur digitalen Unterstützung von Nachverfolgung („Tracing“) und Eindämmung der Corona-Infektionsketten – im Fachjargon Corona Tracing-App genannt. Wann sie kommt, steht noch nicht fest, aber erste Gestaltungsdetails sind bereits bekannt. Christine Steffen, Datenschutzrechtsexpertin der Verbraucherzentrale NRW, gibt Antworten auf grundsätzliche Fragen und Bedenken rund um die Nutzung der geplanten Applikation:
Wobei soll eine Corona Tracing-App helfen?
Mithilfe der sogenannten Corona Tracing-App sollen Menschen, die mit positiv getesteten Personen in Kontakt waren, per App gewarnt werden können. Kontakte sollen so frühzeitiger und vollständiger darüber informiert werden können, dass das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 besteht. Bislang werden die Kontaktketten positiv getesteter Personen von den Gesundheitsämtern von Hand ermittelt, was sehr zeitintensiv ist. Doch je schneller die gewarnte Person über das Risiko einer Ansteckung Bescheid weiß, desto schneller kann sie eigene Schutzmaßnahmen ergreifen, sich etwa in häusliche Quarantäne begeben und dadurch die Infektionskette unterbrechen. Ob diese hohen Erwartungen an eine Corona Tracing-App auch erfüllt werden, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Wichtig ist: Die App ist eine Ergänzung der bereits bestehenden Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie. Sie ersetzt weder die geltenden Abstandsgebote noch die wichtigen Hygieneregeln.
Wie funktioniert eine Corona Tracing-App?
Die meisten Menschen nutzen ein Smartphone und tragen es meistens den ganzen Tag bei sich. Ist darauf eine Corona Tracing-App installiert, soll diese via Bluetooth-Technologie automatisch registrieren, ob im Laufe des Tages Kontakt zu einer an Covid-19 infizierten Person bestand. Das ähnelt einem "digitalen Handschlag", den die Geräte – sollte ein Abstand von 1,5 Metern unterschritten werden - untereinander austauschen. Die App speichert dann diesen relevanten Kontakt als anonymisierte ID. Sollte eine Person positiv auf Covid-19 getestet werden, kann sie dies in der Corona-Tracing-App angeben. Prüfen andere Nutzer der App, ob sie in der Vergangenheit generell Kontakt mit einer infizierten Person hatten, erfahren sie, ob einer ihrer ID-Kontakte infiziert ist. Dieser Abgleich verläuft nur über die ID. Die App lässt also keine Rückschlüsse auf die Identitäten der Nutzer zu.
Was unterscheidet eine Tracing-App von Tracking-Apps?
Der wesentliche Baustein einer Tracing-App ist die Nutzung der Bluetooth-Technologie. Hiermit werden lediglich die "digitalen Handschläge" erfasst, aber nicht, wo diese stattgefunden haben. Ein Standort-Tracking, wie es etwa über GPS oder das Mobilfunknetz möglich wäre, findet durch eine Tracing-App also nicht statt. Es werden also auch keine kompletten Bewegungsprofile erstellt. Aus Verbrauchersicht hat das Tracing also Vorteile, denn es nicht nur genauer, sondern auch datensparender.
Wo und wie lange sollen die Daten gespeichert werden, die eine Corona-Tracing-App sammelt?
Die Bundesregierung hat sich - nach erheblicher Kritik von Datenschützern und IT-Experten - für die dezentrale Variante der Datenverwaltung entschieden. Das ist aus Verbrauchersicht sehr zu begrüßen, weil er datensparsamer und weniger missbrauchsanfällig ist. Konkret bedeutet „dezentral“, dass die von der App gespeicherten Daten nicht alle gemeinsam auf einem zentralen Server zusammengeführt werden, um sie dort miteinander abzugleichen. Stattdessen werden die IDs nur auf den Smartphones der Nutzer gespeichert. Und das auch nur für eine begrenzte Dauer, die vermutlich bei etwa 14 Tagen liegen wird - also so lange, wie ein an Covid 19 Erkrankter als ansteckend gilt. Auch der Abgleich von Kontaktketten findet - nach dem derzeitigen Stand der Umsetzung - auf den Smartphones selbst statt, also rein lokal. Nur für den Fall, dass ein Nutzer positiv auf Covid-19 getestet wird und dies in die App eingibt, werden alle seine temporär gespeicherten Kontakte-IDs auf einen Server gepackt.
Wie sicher sind die Daten bei Tracing-Apps?
Die Tracing-App wird nur erfolgreich sein können, wenn die Nutzer darauf vertrauen können, dass man sehr verantwortungsbewusst mit ihren Daten umgeht. Dies gilt umso mehr, da es sich um sehr sensible Gesundheitsinformationen handelt. Eine Corona Tracing-App muss deshalb transparent, datenschutzkonform und sicher sein. Um Transparenz herzustellen ist es wichtig, dass der Quellcode der App öffentlich gemacht wird. Dann kann die IT-Community die App prüfen und zum Beispiel nachvollziehen, wo die Daten hin gehen, welche es sind und ob Sicherheitslücken bestehen, die dann frühzeitig geschlossen werden können. Zudem muss die App datenschutzkonform sein und von vornherein so datensparsam wie möglich konzipiert sein. Das heißt, es dürfen von Anfang an nicht mehr Daten erfasst werden, als nötig sind. Der geplante dezentrale Ansatz der Tracing-App ist aktuell der datenschutzfreundlichste unter den möglichen Alternativen. Es ist zudem wichtig, dass über die App möglichst keine Rückverfolgung auf die Identität eines infizierten Nutzers möglich ist. Dafür werden die Daten stark anonymisiert. Das heißt, das Smartphone generiert einen bestimmten Zahlenwert nach dem Zufallsprinzip, der sich alle paar Minuten ändert (temporäre ID).
Muss ich die Corona Tracing-App nutzen?
Bei der Tracing-App setzt die Politik auf Freiwilligkeit. Keiner ist verpflichtet, die App auf seinem Smartphone zu installieren oder auch tatsächlich zu nutzen. Die Tracing-App wird auch nicht automatisch auf dem Smartphone installiert – wie dies vereinzelt bereits zu lesen war. Wer die Warn-App nutzen möchte, kann sie aktiv herunterladen und auf dem Smartphone installieren. Die App kann nur dann ihre Ziele erreichen, wenn die Nutzer ihr vertrauen können. Und dafür muss die App gut gemacht, datenschutzkonform und auch sicher sein.
Ist die Nutzung einer Tracing-App empfehlenswert?
Das ist zum gegenwärtigen Stand schwierig zu beurteilen, weil es die finale Corona-Tracing-App für Deutschland noch nicht gibt. Wenn die Nutzung der Warn-App aber wirklich freiwillig ist und dem beschriebenen dezentralen Ansatz folgt, ist das eine gute Grundlage, um die App für Verbraucher insgesamt zu befürworten.
Diese und weitere Fragen aus Verbrauchersicht beleuchten auch Oliver Havlat, Leiter Gemeinschaftsredaktion Verbraucherzentralen, und Christine Steffen in der aktuellen Folge des neuen Podcasts "Verbraucherzentrale - Hörbar!": Was man zur Corona-Tracing-App wissen sollte. Link: www.verbraucherzentrale.nrw/hoerbar.
Einzelne O-Töne unserer Expertin aus dem Podcast stellen wir als Audiodateien zum Herunterladen im Download-Bereich auf dieser Seite zur Verfügung (je nach Gerät rechts neben oder unter diesem Text).