Das Wichtigste in Kürze:
- Gesetzliche Krankenkassen tragen die Kosten für eine Entfernung der fehlerhaften Implantate, können die Versicherten im Falle von rein ästhetischen Operationen jedoch an den Kosten der Behandlung beteiligen.
- Die jüngere Rechtsprechung bietet Grund zur Hoffnung, dass betroffene Verbraucher:innen Schmerzensgeldansprüche gegen den TÜV Rheinland geltend machen können.
- Um dem Risiko einer Verjährung etwaiger Ansprüche vorzubeugen, empfehlen die Verbraucherzentralen, bald rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen.
Zahlt die Krankenkasse für eine Entfernung der Brustimplantate?
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gab im Jahr 2012 eine Empfehlung heraus, sich die minderwertigen Implantate als Vorsichtsmaßnahme entfernen zu lassen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat daraufhin gefordert, dass die Kosten einer Entfernung der schadhaften Medizinprodukte vollständig von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden sollten.
Sozialgerichte haben jedoch in der Folge entschieden, dass Gesetzliche Krankenversicherungen zwar grundsätzlich die Kosten für die Entfernung der minderwertigen Brustimplantate zu tragen haben. Sie können die Versicherten jedoch im Falle von rein ästhetischen Eingriffen an den Kosten beteiligen. Die Kosten für das Einsetzen neuer Implantate (aus ästhetischen Gründen) sind nach der Rechtsprechung vollständig von den Betroffenen zu tragen.
Kann ich Ansprüche gegen den TÜV Rheinland geltend machen?
Die Rechtslage rund um eine Haftung des TÜV Rheinland, welcher seinerzeit von PIP mit der Durchführung des sogenannten Konformitätsbewertungsverfahrens für die Implantate beauftragt worden war, ist noch nicht abschließend geklärt. Zuletzt sorgte ein Urteil eines französischen Berufungsgerichts für Aufsehen, welches eine Mitverantwortung der deutschen Prüfstelle bejaht hatte.
In Deutschland stellt sich die Rechtslage für betroffene Verbraucher:innen aktuell wie folgt dar:
Nachdem der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 16. Februar 2017 (Az. C-219/15) klargestellt hatte, dass sich die Frage der Haftung des TÜV Rheinland nach nationalem Recht zu richten habe, wies der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Juni 2017 (Az. VII ZR 36/14) die Revision einer Betroffenen zurück. Das Gericht konnte seinerzeit keine Verletzung von aus der Medizinprodukte-Richtlinie folgenden Pflichten der Prüfstelle erkennen.
Im vergangenen Jahr kam es dann zu einem Kurswechsel des Bundesgerichtshofs: In ihrem Urteil vom 27. Februar 2020 (Az. VII ZR 151/18) erklärten die Richter, dass zwar keine vertragliche Haftung in Betracht komme, da betroffene Verbraucher:innen nicht in den Schutzbereich des Prüfungs- und Zertifizierungsvertrags zwischen PIP und TÜV Rheinland einbezogen seien. Allerdings deutete das Gericht an, dass eine sogenannte deliktische Haftung des TÜV Rheinland gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Medizinproduktegesetz (MPG) nicht ausgeschlossen sei.
Zur Klärung, ob eine aus dem Medizinproduktegesetz folgende Rechtspflicht durch den TÜV Rheinland verletzt worden ist, wurde die Sache an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen. Die Verbraucherzentrale NRW hat sich bei diesem Gericht nach dem Stand des Verfahrens erkundigt: Das Verfahren läuft noch; ein Verhandlungs- und Entscheidungstermin steht aktuell noch nicht fest. Möglicherweise wird der Rechtsstreit durch einen Vergleich zwischen TÜV Rheinland und der AOK Bayern beigelegt.
Wichtig: Soweit Ihre Krankenkasse die Kosten für Folgebehandlungen bereits übernommen hat, sind etwaige Schadensersatzansprüche auf diese übergegangen. In Betracht kommen dann jedoch weiterhin
- die Geltendmachung eines Schmerzensgeldes (§ 253 Abs. 2 BGB) und
- die Feststellung der Ersatzpflicht des TÜV Rheinland für möglicherweise zukünftig noch auftretende Folgeschäden.
Die Höhe des möglichen Schmerzensgeldes richtet sich individuell nach Art und Dauer der eingetretenen Folgen, insbesondere der erlittenen Schmerzen, notwendigen Folgebehandlungen sowie wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen. Vor dem Bundesgerichtshof stand im Jahr 2017 eine Schmerzensgeldforderung in Höhe von 40.000 Euro im Raum.
Was muss ich tun, damit etwaige Ansprüche nicht verjähren?
Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche würden innerhalb von drei Jahren verjähren. Die Verjährungsfrist beginnt in der Regel am 31. Dezember des Jahres, in dem Sie von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangten oder hätten erlangen können (§ 199 Abs. 1 BGB). In dieser Hinsicht ist anerkannt, dass eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage den Verjährungsbeginn hinauszögern kann. Spätestens durch die jüngere Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahr 2020 dürfte eine hinreichende Klärung der Rechtslage herbeigeführt worden sein. Demnach müssten Sie nun spätestens in den drei Jahren bis Ende 2023 tätig werden.
Neben einer Klage, deren Erfolgsaussichten aufgrund der noch nicht gefestigten Rechtsprechung ungewiss sind, kommt hier alternativ eine Kontaktaufnahme zum TÜV Rheinland mit dem Ziel eines Verjährungsverzichts bis zur rechtskräftigen Entscheidung der bereits anhängigen Gerichtsverfahren in Betracht. Dafür sollten Sie vorher rechtlichen Beistand in Anspruch nehmen.
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